Haushalt leistet keinen Beitrag zur klimaneutralen Zukunft Kleves
Stellungnahme des Stadtverordneten Udo Weinrich, Fraktion „Offene Klever“, in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 20. Januar 2021 zum Haushalt 2021:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren!
„Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten.“ Dieser Satz der schwedischen Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf fasst gut zusammen, in welcher Zeit wir leben.
Es gibt täglich viele Tote. Das Virus verbreitet sich rasant in unserer Gesellschaft. Auf den Intensivstationen ringen auch Menschen aus Kleve mit dem Tod. In der Geschäftswelt Kleves kämpfen viele darum, dass ihre Firma überlebt, dass den Mitarbeiter/innen die Arbeitsplätze erhalten bleiben und dass allen der Lebensabend gesichert werden kann. Bei vielen Menschen – auch bei uns in Kleve – sind die Einkommen während der Krise gesunken.
Gleichzeitig können wir eine Morgendämmerung sehen. Impfstoffe verbreiten sich jetzt auf der ganzen Welt. Wir erfahren jeden Tag mehr über die Krankheit.
Heute ist nicht die Zeit für Schaufensterreden. Das Virus darf und wird mich aber nicht davon abhalten, als Demokrat und als Mandatsträger meine Meinung kundzutun und Rechenschaft abzulegen über meine Handlungen.
Jetzt ist die Zeit für uns alle, Verantwortung zu übernehmen. Das gilt auch für Bürgermeister und Stadtverordnete. Wir müssen beispielgebend so handeln, dass die Ausbreitung von Infektionen in der Gesellschaft verringert wird. Wir müssen den Ratschlägen folgen, die die Behörden und Fachwissenschaftler geben. Es muss viel stärker kommuniziert werden, dass die Menschen ihre Freiheit durch strenge Maßnahmen zurückgewinnen können. Das ist auch Aufgabe der Politik und erfordert Mut.
Wie sieht es damit in Kleve aus? Auf die Infektionsgefahr durch das Corona-Virus wurde mit einem flapsigen Spruch reagiert: „Andere müssen auch arbeiten!“ Auf den Vorschlag, während des „Lockdowns“ die Sitzungen bis auf den Haupt- und Finanzausschuss herunterzufahren, wurde mit der Bemerkung geantwortet, es hätte sich „niemand der Stadtverordneten während einer politischen Sitzung in Kleve infiziert.“ Nicht einmal der Tod eines Ratsmitglieds als Folge einer Corona-Infektion konnte solche Stimmen zum Schweigen bringen!
Als in den Reihen der SPD Corona-Infektionen auftraten, begab sich die gesamte Fraktion in Quarantäne. Damit schützte sie andere, also auch uns, vor Ansteckung! Gedankt wurde es ihr nicht. Weil ein Ratsmitglied mit dem Tode rang und aus Respekt vor dem Wahlergebnis hätten alle Sitzungen unverzüglich abgesagt werden müssen! Parteipolitik hätte in solchen Situationen außen vor zu bleiben! Nicht so Kleve…
Wir „Offenen Klever“ waren aus Solidarität der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 9. Dezember 2020 ferngeblieben. Dort herrschte „Einstimmigkeit“, von CDU bis AfD. Dieser Einstimmigkeit fielen Anträge von „Theater im Fluss“ zum Opfer, die an den Jugendhilfeausschuss verschoben wurden, der frühestens Mitte Februar 2021 zusammentreten sollte. Dann wäre der Haushalt längst verabschiedet, die „Messe längst gesungen“.
Das ist keine Gestaltungs-, sondern eine Vertagungs- und Verschleppungsmehrheit.
Meine Damen und Herren, die befristete Übertragung der Aufgaben des Rates an den Haupt- und Finanzausschuss war längst überfällig. Wir wollten von Anfang an Rechtssicherheit mit maximalem Infektionsschutz verbinden. Wir hatten vergebens dafür geworben, den Delegationsbeschluss noch vor Weihnachten zu fassen.
Bürgermeister und grüne Fraktionsvorsitzende waren anderweitig beschäftigt: Am 17. Dezember unterschrieben sie sechs Dringlichkeitsentscheidungen. Zumindest die „Offenen Klever“ haben davon erst einen Monat später, mit der Einladung zu dieser Sitzung, etwas erfahren. Nicht einmal in der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz am 5. Januar wurden diese Entscheidungen erwähnt.
Hätten Offenheit und Transparenz es nicht geboten, lieber Herr Gebing, wenigstens den Fraktionsvorsitzenden die Chance zu geben, hierzu ihr Feedback zu geben? Hatten oder haben Sie nicht die Absicht, sich wenigstens in einem Punkt von Frau Northing zu unterscheiden?
Ihre Entscheidung, Herr Bürgermeister, trotz des verlängerten, verschärften „Lockdowns“ nicht nur den Haupt- und Finanzausschuss, sondern weitere Gremien einzuberufen, leistet keinen Beitrag zur Verhinderung vermeidbarer Infektionsrisiken. Dass Sie die Ausschussmitglieder diesem Gesundheitsrisiko aussetzen wollen, ist mit angeblich unaufschiebbaren Entscheidungen nicht zu rechtfertigen. Nett formuliert: Das ist naiv! Das ist fahrlässig!
Mit dem Delegationsbeschluss hat der Haupt- und Finanzausschuss nämlich das Recht erworben, wie der Rat, alles an sich zu ziehen und final zu entscheiden, also auch über Bebauungspläne und Vergaben. Letztere werden in Kleve üblicherweise am Rat vorbei und per Dringlichkeitsentscheidung, entschieden.
Ich komme zum Haushalt. Was hat man darüber nicht alles gehört und gelesen! Als wäre die Stadt gelähmt, handlungsunfähig ohne einen positiven Ratsbeschluss am 16. Dezember! Als müssten Kämmerer und Bürgermeister gewissermaßen mit Daumenschrauben und einem Nothaushalt agieren!
Nichts ist von der Wahrheit und vom Haushaltsrecht weiter entfernt! Auch ohne einem vom Rat beschlossenen Haushalt ist Kleves Kämmerer jederzeit handlungsfähig. Selbst wenn der Rat am 16. Dezember den Haushalt verabschiedet hätte, wäre dieser mit Genehmigung durch die Kommunalaufsicht frühestens Ende Januar rechtskräftig geworden.
Meine Damen und Herren, auch diese Haushaltsberatungen glichen einer Farce. Und das lag nicht an Corona! Wesentliche Eckdaten des Haushalts lagen nicht vor. Der Haushaltsentwurf enthielt Gleichungen mit mehreren Unbekannten und Zahlenfriedhöfe mit alten Kennzahlen. Solide Haushaltsberatungen waren so nicht möglich und wohl auch nicht gewollt.
Es ist in Kleve schlechter Brauch, die Fraktionen mit einem engen Terminplan, den das Rathaus aufstellt, zum „Schweinsgalopp“ anzutreiben. Was ich in Ausschüssen erlebt habe, das war – mit Verlaub! – „Powerpoint-Karaoke“ mit mehr als 50 Folien und „betreutes Lesen“. Die Folien wurden im Akkord durchgeklickt. Anschließend wollte man sie uns zum genaueren Studium übermitteln – auf eine dieser Präsentationen warte ich noch heute.
Die „Offenen Klever“ haben zum Haushaltsentwurf 17 Änderungsanträge vorgelegt. Der vom Rathaus vorgegebene enge Zeitrahmen ließ eine Fachausschuss-Beratung nicht zu.
Kleve kann viel mehr, als Bürgermeister und Stadtkämmerer zulassen und als CDU, Grüne, FDP und AfD am 9. Dezember beschlossen haben.
Lassen Sie mich unsere Alternative dazu an Beispielen darstellen:
Digitalisierung und E-Government:
Die „Offenen Klever“ wollen die E-Government-Aktivitäten verstärken, mehr IT-Fortbildung in der Stadtverwaltung und beim Bürgermeister eine Stabsstelle für Digitalisierung einrichten.
Das Thema „Digitalisierung“ wird im Rathaus seit Frühjahr 2019 besetzt, aber „stellenneutral“, also mit bereits vorhandenen Akteuren, von denen nicht alle zu 100% digitale Themen betreuen können, wie beispielsweise der Sprecher der Stadt.
Da allein das Thema „Smart City“ (Nachhaltige Digitalisierung für Kleve) sechs verschiedene Aktionsfelder bespielt – Verwaltung, Menschen, Business, Leben, Mobilität und Umwelt – reichen dafür zusätzlich bewilligte 50.000 EUR vorne und hinten nicht.
Meine Damen und Herren, Ende 2022 müssen in Kleve mindestens 90 Dienstleistungen online abrufbar sein. Die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs der Bürgerinnen und Bürger aus dem „Onlinezugangsgesetz“ muss vom Rat und von der Stadtverwaltung gemeinsam vorangetrieben und gelöst werden.
Wir Ratsmitglieder müssen die Grundsatzentscheidung über Umfang und Qualität des digitalen Angebots treffen. Wir müssen entscheiden, ob dafür eine vorhandene Technik genutzt und weiterentwickelt wird oder ob Kleve diese 90 Dienstleistungen über die eigene Website realisiert. Darüber hinaus sind Controlling-Instrumente einzuführen und zu nutzen, die der Steuerung dienen und uns allen einen transparenten Einblick in die Verwaltungsarbeit ermöglichen.
Hierzu wollten wir fraktionsübergreifend zu Beschlüssen kommen. Das Feedback auf unsere Vorschläge war bescheiden. Offensichtlich lautet der Grundkonsens: „Das Rathaus wird es schon richten!“ Es ist das Rathaus, das die Digitalisierung der Ratsarbeit keinen Millimeter vorangetrieben hat!
Online-Übertragungen von Rats- und Ausschuss-Sitzungen wird es auf absehbare Zeit leider nicht geben. Einzige digitale Neuerung: Vor der Kommunalwahl wurden Sitzungsgelder für Online-Fraktionssitzungen beschlossen. Das ging sogar rückwirkend!
Kultur:
Unsere Vorschläge reichen von einer stärkeren Förderung kultureller Angebote, über die auskömmliche Finanzierung der Erstellung eines verbindlichen Kulturleitplans bis zur Einrichtung eines „Corona-Fonds“ für die lokale Kunstszene.
Durch die Absage sämtlicher kultureller Veranstaltungen sind die Einnahmen in der freien Kulturszene vollständig weggebrochen. An dieser Stelle zielt der Sonderfonds – finanziert aus nicht ausgeschöpften Mitteln des städtischen Kulturetats – auf die Förderung der freien Kulturszene ab.
Zur Festlegung der Förderbedingungen und Antragsvoraussetzungen kann die Stadt eine diesbezügliche Regelung der Stadt Essen übernehmen. Kein Spenden-Aufruf kann eine aktive Kulturförderung ersetzen!
Denkmalpflege:
Als Folge besserer Personalausstattung könnte die Denkmalliste rascher bearbeitet werden. Aber offenbar hat der Baudezernent andere Pläne.
Gestaltungsbeirat:
Mögen in Kleve auch noch so viele Projektentwickler potenzieller Investoren als sachkundige Bürger auftreten, wir wollen die Voraussetzungen für einen wirklich unabhängigen Gestaltungsbeirat schaffen. Dieser sollte den Bauausschuss nicht ersetzen, sondern fachkundig beraten. Dass und wie das geht, zeigen uns andere Kommunen.
Klimaschutz:
10.000 EUR für den Klimaschutzmanager, wie Bürgermeister und Kämmerer veranschlagt hatten, reichen nicht aus.
Radwege:
Ausbaubedürftig ist auch Kleves Radwege-Netz, dem man leider ansieht, dass es nicht ausreicht, vor den Wahlen im grünen Rock die „Verkehrswende“ zu fordern, die man jahrelang verschlafen hat.
Innenstadtentwicklung:
Für den „Minoritenplatz“ müssen planungsrechtliche Voraussetzungen für die Umsetzung des „Podrecca-Plans“ geschaffen und hierfür Planungskosten in den Haushalt eingestellt werden. Dem Jubel aus der Politik für die Idee, auf diesem Platz VHS und Stadtbücherei zu vereinen, müssen endlich Taten folgen.
Schule:
Von der Stadt als Schulträgerin erwarten nicht nur wir eine Schadstoffuntersuchung an allen städtischen Schulen.
Meine Damen und Herren, sind Sie es nicht langsam leid, dass die Schulen bei der Digitalisierung in Kleve nur in der zweiten Liga spielen?
Viel zu lange wurde und wird immer noch abgewartet. Heute ist deutlich, wie sehr im Fachbereich 40 (Schulen) die Entwicklung verschlafen worden ist! Vor dem Wahltag wurde von manchen der Eindruck erweckt, Kleve hätte ein ganz tolles Konzept, dessen Umsetzung an der Bürgermeisterin gescheitert wäre.
Statt nun endlich durchzustarten, sitzt die schwarz-grüne Mehrheit, mit Herrn Gebing an ihrer Spitze, lieber alles aus. Es wird abgewartet. Man tut nur das „Nötigste“ und schweigt öffentlich.
Hinzu kommt: Es fehlt an Kommunikation untereinander. Versprechungen werden nicht eingehalten. Der vorausschauende, konzeptionelle Blick fehlt.
Wie sieht die Praxis an den Schulen aus? – Whiteboards sind montiert, haben aber oft keine Netzwerkverbindung oder schlicht und einfach keinen Stromanschluss! Tablets sind geliefert, aber ohne Ladekoffer. Laptops sind geliefert, aber bevor diese genutzt werden können, muss der Server in manchen Schulen erst noch ausgetauscht werden. Es war doch abzusehen, was da auf uns zukommt – nicht nur in Sachen „Home Schooling“.
Das große Versprechen, mehr IT-Support zu bereitzustellen, ist längst an der Realität gescheitert. Das Kommunale Rechenzentrum kann nicht mehr Ressourcen zur Verfügung stellen. Stattdessen müssen Lehrer/innen bei IT-Problemen „Ersthelfer/in“ für das Kollegium spielen und können sich folglich bei der ohnehin schon angespannten Personalsituation nicht auf ihren Lehrauftrag konzentrieren.
Meine Damen und Herren, wann wird endlich das umgesetzt, was die Schulleiter/innen schon so lange fordern, nämlich: mehr Bandbreite, IT-Hausmeister, stabile Lernplattformen und Videokonferenz-Möglichkeiten? Die Zeitspanne, die im schwarz-grün regierten Kleve von der Beschlussfassung bis zur anschließenden Umsetzung gebraucht wird, ist gigantisch und beschämend zugleich!
Lokaler Einzelhandel oder lokale Kulturszene können sich solche Zeitschleifen nicht leisten. Hier helfen weder gute Worte noch Spendenappelle. Gebraucht werden Unterstützungsmaßnahmen der Stadt. Dafür müsste Kleve das Rad aber nicht neu erfinden. Es hilft, einfach mal über den Tellerrand zu schauen: Wie machen es andere Städte, wie machen es unsere Nachbarn? „Best practise“ heißt die Erfolgsmethode.
Die Corona-Hilfe von Bund und Land erreicht die lokale Wirtschaft nur schleppend. Die Stadt kann von Bund und Land zwar fordern, die Regeln zu ändern, die die Prozesse verlangsamen. Kleve muss aber auch selbst aktiv werden.
Die existenzbedrohende Lage des Einzelhandels ist auch in Kleve gegeben – wenn man denn nachfragt, wenn man sich erkundigt, dann erhält man ernüchternde, alarmierende Auskünfte.
Meine Damen und Herren, Kleve braucht eine Kommunalpolitik, die die Zukunft der lokalen Wirtschaft, des lokalen Einzelhandels, sichert. Da reichen keine salbungsvollen Worte! Rat und Stadtverwaltung müssen treibende Kräfte beim Schutz lokaler Unternehmen während der Krise werden!
Die „Offenen Klever“ werden konkrete Vorschläge auf den Tisch legen.
Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Wir befinden uns mitten in einer globalen Pandemie, die einen Großteil der Weltordnung in Bewegung versetzt hat. Wir befinden uns mitten in einer Klimakrise, deren negative Folgen mit jedem Tag sichtbarer werden.
Und dazu haben wir eine Vertrauenskrise in unsere Demokratie. Wir alle müssen zeigen und beweisen, dass die Demokratie der einzige Weg für eine nachhaltige und belastbare Gesellschaft ist, die zusammenhält.
Wir müssen alle Herausforderungen gemeinsam lösen. In dieser Hinsicht waren die Wochen seit der Kommunalwahl leider eine einzige Enttäuschung!
Die „Offenen Klever“ werden eine aktive und konstruktive Kraft sein, wenn es gilt, die Ausbreitung von Infektionen zu verringern und die klimaneutrale Zukunft unserer Stadt zu sichern.
Dieser Haushalt leistet dazu leider keinen Beitrag. Wir lehnen ihn ab.